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Genetik

Medizin-Nobelpreis für die Entdecker der microRNA

Victor Ambros und Gary Ruvkun identifizierten entscheidende Akteure der Genregulation

microRNA
Die microRNA ist ein entscheidender Baustein der Genregulation bei Mensch und Tier. © Artur Plawgo/ iStock

Der Medizin-Nobelpreis 2024 geht an zwei US-Forscher, die eine entscheidende Frage der Genetik geklärt haben: Wie kann unser Körper so viele verschiedene Zellen und Gewebe bilden, obwohl alle Zellen die gleiche DNA in sich tragen? Einen dafür wichtigen Prozess haben Victor Ambros und Gary Ruvkun durch ihre Forschung an Fadenwürmern entdeckt. 1993 fanden sie heraus, dass kurze RNA-Stücke, sogenannte microRNA, die Produktion von nicht benötigten Proteinen blockieren – und dass unser Erbgut tausende Gene für solche Mikro-RNAs enthält.

Unsere DNA macht uns zu dem, wer wir sind. Das Erbmolekül enthält die Bauanleitungen für all die Proteine, die unsere Zellen und Gewebe aufbauen, die unseren Stoffwechsel regulieren und die Funktionsweise unseres Gehirns steuern. Doch all dies hat seinen Ursprung nur in einer einzigen Zelle – der befruchteten Eizelle. Ihr Erbgut findet sich in jeder unserer Körperzellen – egal ob Hautzelle, Neuron oder Blutkörperchen. Wie aber können trotz identischen DNA-Codes so viele verschiedene Gewebe und Zellen entstehen?

Zelldifferenzierung
Obwohl alle unsere Zellen die gleiche DNA in sich tragen, bilden sie verschiedene Gewebe und Organe – aber wie? © nobelprize.org

Eine erste Antwort auf diese Frage lieferten in den 1960er Jahren die Transkriptionsfaktoren – spezielle Proteine, die sich an das Erbgut anlagern und so das Ablesen bestimmter Gene blockieren können. Doch sie allein konnten die beobachteten Unterschiede nicht erklären.

Zwischen Zellkern und Proteinfabrik

An diesem Punkt kommen die diesjährigen Nobelpreisträger ins Spiel: Victor Ambros und Gary Ruvkun haben eine weitere, zuvor unerkannte Ebene der Genregulation entdeckt. Diese findet nicht an der DNA im Zellkern statt, sondern erst nach dem Ablesen der Gene und der Produktion der Boten-RNA mit der entsprechenden Protein-Bauanleitung, wie die beiden Forscher bei Forschungen an Fadenwürmern entdeckten.

Normalerweise wandert die Boten-RNA (mRNA) mit der Bauanleitung für ein Protein vom Zellkern in das Zellplasma und wird dort von den Ribosomen, den Proteinfabriken der Zelle, ausgelesen. Diese stellen entsprechend des genetischen Codes die für das Protein benötigten Aminosäuren zusammen und erzeugen so das Protein. Bei ihren Nematoden-Experimenten entdeckten Ambros und Ruvkun eine Mutation, durch die die Produktion eines bestimmten Proteins, Lin-14, unterbunden wurde.

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Regulation durch microRNA
Die microRNA lagert sich an die Boten-RNA an und verhindert damit, dass die Ribosomen diese Protein-Bauanleitung auslesen können. © nobelprize.org

RNA-Schnipsel als Blockierer

Auf der Suche nach der Ursache dieser Blockade stellten die Forscher fest, dass die Transkription der Lin-14-Boten-RNA bei den mutierten Fadenwürmern korrekt funktionierte. Doch in den Zellen der Würmer gab es weitere kurze RNA-Stückchen, die an diese Boten-RNA banden und so ihr Ablesen in den Ribosomen unmöglich machten. Nähere Analysen ergaben, dass die Basenabfolge dieser sogenannten microRNA (miRNA) genau auf eine Sequenz der Boten-RNA von Lin-14 passte.

Wenig später entdeckte Ruvkuns Forschungsteam eine weitere microRNA, die die Bildung eines anderen Proteins blockierte – und die bewies, dass solche RNA-Schnipsel nicht nur bei Fadenwürmern vorkommen, sondern im gesamten Tierreich einschließlich des Menschen. „Diese bahnbrechende Entdeckung von Ambros und Ruvkun war unerwartet und enthüllte eine ganz neue Dimension der Genregulation, die für alle Lebensformen essenziell ist“, erklärt das Nobelpreis-Komitee.

Ganz neue Dimension der Genregulation

Die Entdeckung der microRNA belegt: Neben den Genschaltern und chemischen Anhängen, die das Ablesen unserer Gene steuern, gibt es einen weiteren Kontrollmechanismus, der an der schon produzierten Boten-RNA ansetzt. Viele dieser microRNAs können sich dank ihrer Basenabfolge an mehrere verschiedene Boten-RNAs binden und dadurch die Produktion vieler Proteine gleichzeitig regulieren. Umgekehrt kann ein Protein durch mehrere verschiedene microRNAs blockiert werden.

Dadurch ermöglicht dieser Mechanismus eine effiziente und fein justierbare Steuerung unserer Genaktivität und Proteinproduktion – und erst dies ermöglicht es unserem Körper, auf Basis nur eines Gencodes so viele verschiedene Zellen und Gewebearten zu erzeugen. „Die regulatorische Rolle der Mikro-RNA umfasst das Timing der Embryonalentwicklung, die Entstehung und Stabilität von Zelllinien, die Physiologie und das homöostatische Gleichgewicht“, erklärt das Nobelpreis-Komitee.

Heute wissen wir, dass unser Erbgut tausende Gene für solche Mikro-RNAs enthält. Sie spielen nicht nur eine wichtige Rolle für die Differenzierung unserer Zellen, sondern beeinflussen auch den Rhythmus unserer inneren Uhr, schützen unsere Blutgefäße und könnten sogar eine Rolle für unsere Lernfähigkeit spielen. Umgekehrt können microRNAs aber auch dazu beitragen, dass Zellen entarten und Krebs entsteht.

Motor der Evolution

Doch die microRNAs sind noch in anderer Hinsicht wichtig: Sie könnten eine entscheidende Rolle für die Evolution und Weiterentwicklung des Lebens gespielt haben. „Die Entstehung und Ausweitung der microRNA-Gene ist eng mit der Evolution immer komplexerer Organismen verknüpft“, erklärt das Nobelpries-Komitee. Zwar existierten einige dieser Mikro-RNAs schon bei den ersten einfachen Mehrzellern. Sie haben von frühen Einzellern über Schwämme und weitere mehrzellige Tiere bis zum Menschen erhalten.

Doch viele andere microRNAs sind erst im Laufe der Evolution dazu gekommen. Erst kürzlich haben Forschende beispielsweise entdeckt, dass Oktopusse und andere Kopffüßer ihr großes Gehirn und ihre hohe Intelligenz wahrscheinlich ihrer ungewöhnlich reichlichen und aktiven microRNA-Ausstattung verdanken.

Für die Entdeckung der Mikro-RNA und ihrer Rolle in der Post-Transkriptions-Genregulation erhalten Victor Ambros und Gary Ruvkun den Nobelpreis für Medizin des Jahres 2024.

Quelle: Nobel Foundation

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